Das Vier-Quadranten-Modell in der Männerarbeit

Ein inhaltlicher Kompass für eine allumfassende männliche Entwicklung

von Christian Bliss

In unserer Trainingsreihe verbinden wir unsere langjährige Erfahrung in der Männerarbeit mit der Integralen Theorie nach Ken Wilber. Hierbei kommt vor allem das Vier-Quadranten-Modell zum Einsatz, das wir für eine umfassende, ganzheitliche Bestandsaufnahme und eine vielschichtige Entwicklung unseres MannSeins nutzen. (Daneben nutzen wir ggf. weitere Elemente des Integralen Ansatzes wie Bewusstseinsstufen, Spiral Dynamics, Entwicklungslinien etc.)

Das Vier-Quadranten-Modell

Das Vier-Quadranten-Modell von Ken Wilber verbindet fundamentale Sichtweisen und Wirklichkeitsebenen miteinander. Es basiert auf zwei schlichten, perspektivischen Unterscheidungen, die man ohnehin die ganze Zeit vollzieht, ohne es zu wissen: Innen-Außen und Individuell- Kollektiv. Daraus ergeben sich vier Erfahrungsebenen.

innen außen
individuell

„ICH-Raum“

„ES-Raum“ (sing.)

kollektiv

„WIR-Raum“

„ES-Raum“ (plur.)

„ICH-Raum“

subjektiv, intentional

(Selbst-)Bewusstsein, Gedanken, Gefühle, Bedürfnisse, innere Zustände, persönliche Überzeugungen, Werte, Mentalität, Einstellung, eigene Vision

„ES-Raum“ (sing.)

objektiv, empirisch

Verhalten, Auftreten, gezeigte Fähigkeiten, Leistung, Physiologie, Körper, Organismus, Energien, Gehirnwellen

„WIR-Raum“

kulturell, intersubjektiv

kulturelle Prägungen, geteilte Bedeutungen, Beziehungen, gegenseitiges Verständnis, Gruppengeist, kollektive Ethik, gesellschaftliche Werte

„ES-Raum“ (plur.)

sozial, systemisch

soziales Umfeld, Umwelt, Systeme, Prozesse, Gesellschaftsstrukturen, Wissenschaft, Technologie, Medien, Märkte, Globus

Anwendungsbeispiel: Ein Gedanke

  • Einen Gedanken der mir kommt erlebe ich phänomenologisch- subjektiv (oberer linker Quadrant).
  • Dieser Gedanke hat hirnphysiologische Entsprechungen (oberer rechter Quadrant).
  • Der Gedanke entsteht vor dem Hintergrund meiner kulturellen Prägungen (unterer linker Quadrant).
  • Dieser Gedanke ist zugleich auch geprägt von den gesellschaftlichen Verhältnissen in denen ich lebe (unterer rechter Quadrant).

Adaption auf das Thema MannSein

  • Mein MannSein erlebe ich subjektiv anhand bestimmter Empfindungen, Gefühle, Bedürfnisse, Werte, Einstellungen, aufgrund meiner persönlichen Biografie, etc. (oberer linker Quadrant).
  • Nach außen zeigt sich mein MannSein durch mein Verhalten, Auftreten, Kleidung, Körpersprache, Gestik, Stimme, Körperbau, Geschlechtsorgane, etc. (oberer rechter Quadrant).
  • Mein Selbstverständnis als Mann ist geprägt durch kulturelle Werte, Geschlechterbilder, Traditionen, Religion, etc. (unterer linker Quadrant).
  • Es ist zugleich geprägt durch mein soziales Umfeld, Geschlechterrollen, gesellschaftliche Verhältnisse, Herrschaftsverhältnisse, etc. (unterer rechter Quadrant).

In den folgenden Schaubildern haben wir das Vier-Quadranten-Modell auf die Männerarbeit ausdifferenziert. Zunächst allgemein und anschließend bezogen auf die drei Module unserer Trainingsreihe. Daraus leiten wir die Ziele, Inhalte, Übungen und Selbsterfahrungsräume für die einzelnen Wochenenden ab.

Allgemeine Ziele unserer Männerarbeit

„ICH-Raum“

subjektiv, intentional

Bewusstsein schaffen, Selbstreflexion, Gefühle ins Fließen bringen, Meditation, inneres Wachstum, Potenzialentfaltung, Arbeit an individuellen Schatten

„ES-Raum“ (sing.)

objektiv, empirisch

Körperarbeit, Bewegung, Wissensvermittlung, Verhaltensänderung

„WIR-Raum“

kulturell, intersubjektiv

Lüften von Tabus, Neues Wir-Gefühl, Entwicklung der Beziehungsfähigkeit, Werteentwicklung, Arbeit an kollektiven Schatten

„ES-Raum“ (plur.)

sozial, systemisch

Befreiung aus Rollenzwängen, Strukturelle Veränderung, Vernetzung, öffentliche Meinungsbildung mitgestalten

Anknüpfungspunkte zum Erreichen unseres Archaischen Potenzials

„ICH-Raum“

subjektiv, intentional

Selbstreflexion: die Angst vor der eigenen Kraft anerkennen, alte Glaubenssätze auflösen
Schattenarbeit: vom bedrohlichen Gewaltpotenzial zu Lebenskraft und sexueller Integrität
Potenzialentfaltung: der eigenen archaischen Kraft vertrauen, Präsenz und Kreativität stärken

„ES-Raum“ (sing.)

objektiv, empirisch

Wissen: Kennenlernen von Aggressionsmodellen
Körper: Kraft erwecken durch körperlichen Wettkampf bis an die Leistungsgrenze
Verhalten: Von einem (selbst-) destruktiven zu einem kraftvollen, lebensbejahenden Verhalten

„WIR-Raum“

kulturell, intersubjektiv

Tabus lüften: Den „wilden Mann“ und den „Krieger“ erwecken
Schattenarbeit: das kulturelle Erbe männlicher Gewalt in uns aufarbeiten
Beziehungen: Verantwortung und Fürsorge mit innerer Freiheit verbinden

„ES-Raum“ (plur.)

sozial, systemisch

Rollenzwänge: Entfremdenden Alltagsstrukturen eine präsente Alternative entgegen stellen
Soziales Umfeld: Vorbild für eine gewaltfreie, innenverbundene, kraftvolle Männlichkeit sein
Globus: Naturverbundenheit herstellen, sich für den Schutz der Erde einsetzen

Anknüpfungspunkte zum Erreichen unseres Sensitiven Potenzials

„ICH-Raum“

subjektiv, intentional

Meditation: Intuition und spirituelle Anbindung stärken
Gefühle: subtile Empfindungen voll fühlen und ausdrücken
Schattenarbeit: Passivität und erlittene Verletzungen überwinden
Bewusstsein: zarte und irrationale Seiten integrieren

„ES-Raum“ (sing.)

objektiv, empirisch

Wissen: Kennenlernen von Techniken zur Unterstützung der Herzkraft und Sinnlichkeit
Körper: durch Singen, Tanz und Massage die Sinne beleben
Verhalten: von mechanischem zu sensitivem Verhalten

„WIR-Raum“

kulturell, intersubjektiv

Kulturelle Prägungen: den Mythos der Unverwundbarkeit auflösen
Schattenarbeit: Gefühlskälte und Abwehrhaltung ablegen
Tabus lüften: von emotionaler Verpanzerung zu Herzöffnung und Berührbarkeit
Beziehungen: Empathie und Intimität leben

„ES-Raum“ (plur.)

sozial, systemisch

Soziales Umfeld: Vorbild für eine sensitive, berührbare, gefühlvolle Männlichkeit sein
Gesellschaft: für Entschleunigung und Stille im Alltag sorgen
Rollenzwänge: den Mut haben, die eigene Verletzlichkeit in der Öffentlichkeit zu zeigen und so einen Unterschied machen

Anknüpfungspunkte zum Erreichen unseres Beziehungspotenzials

„ICH-Raum“

subjektiv, intentional

Einstellungen: zu einem frauen-unabhängigen Selbstwert finden
Gefühle: Die Angst von Nähe und die Angst vor Distanz anerkennen
Schattenarbeit: destruktive Bezieh-ungsbilder / -erfahrungen erhellen
Eigene Vision: Verantwortung für unsere Sehnsucht übernehmen

„ES-Raum“ (sing.)

objektiv, empirisch

Wissen: tieferes Verstehen von Beziehungsdynamiken anhand von (Polaritäts-)Modellen
Körper: den eigenen Körper als physisches Beziehungsinstrument verstehen und beleben
Verhalten: vom gewohnten Rollenverhalten zu mehr Varianz

„WIR-Raum“

kulturell, intersubjektiv

Kulturelle Prägungen: von Macho und Softie zu einer authentischen Männlichkeit
Schattenarbeit: Eingeschliffene Manipulationen zwischen Mann und Frau auflösen
Beziehungen: Eine neue Liebes- und Beziehungskultur mit verwirklichen

„ES-Raum“ (plur.)

sozial, systemisch

Soziales Umfeld: Vorbild für eine neue Partnerschaftlichkeit zwischen Männern und Frauen sein
Rollenzwänge: aus alltäglichen patriarchalen Herrschaftsverhält-nissen aussteigen
Gesellschaft: sich aktiv gegen gewaltvolle Beziehungsmuster einsetzen